Deutsche Botschaft und ganz viel Port-au-Prince
30. Juni 2017Hopital Espoir – Die Rückkehr an den Ort, an dem vieles für uns begonnen hat
1. Juli 2017Baustelle – Tag 2 –
Ich werde von den Hähnen geweckt. Es ist noch dunkel draußen. Weil ich nicht mehr schlafen kann, lese ich noch ein paar Seiten. Um 06:30 Uhr stehe ich auf – da herrscht ums Haus herum schon reges Treiben. Die Frauen kochen in der Kochhütte – ein paar Kinder springen umher. Als ich auftauche huscht allen ein Lächeln übers Gesicht – alle winken mir zu und begrüßen mich mit dem kreolischen Morgengruß. Ich winke und lächle zurück. Schön, wenn man in einer anderen Familie zuhause sein darf.
Wir frühstücken und gehen dann wieder zur Baustelle. Es gibt einige Dinge zu entscheiden, was die Prioritäten für die weiteren Baumaßnamen betrifft. Wir legen den Fokus absolut auf die Fertigstellung der Schule – der 1. Stock muss so schnell wie möglich fertig erstellt werden, Türen und Fenster müssen eingebaut werden, die Einrichtung (einfachste Bänke und Tische) müssen erstellt werden – dann wollen wir den Schulbetrieb starten. Alles weitere wird dann Schritt für Schritt umgesetzt werden – das wird auch von den finanziellen Mitteln abhängen, die wir zur Verfügung stellen können. Die Arbeiter beginnen mit den Maurerarbeiten in der 1. Etage. Jetzt sieht man förmlich den Fortschritt. Stein auf Stein – unsere Schule entsteht. Ich setze im 1. Stock den ersten Stein – für mich ist das die Grundsteinlegung. Glücklich und stolz.
Zum Mittagessen gehen wir wieder den Berg hinab. Es gibt eine üppige Suppe – mit Kartoffeln, Bananen, Gemüse und Hühnchen. Ein Gaumenschmaus. Mir läuft der Schweiß – die Suppe treibt die Schweißproduktion noch mit an. Vor dem Mittagessen war ich noch beim Friseur. Wideline, die Cousine von Mdm Dominique von hat mir eine typisch haitianische Frisur gemacht. Ich fühle mich schon fast wie ein Haitianer. Wir hatten großen Spaß – es wurde viel gelacht.
Nach dem Mittagessen habe ich mir Zeit genommen für meine Notizen und die Themen, die es noch mit Rodril (Bau-Ingenieur) und Pater Dominique zu besprechen gibt – und das sind einige. Hier wird es um die einzelnen Baufortschritte gehen. Die Frage muss beantwortet werden, in welcher Art und ob überhaupt bestimmte Arbeiten notwendig sind (z.B. ob die Innenwände zwingend zum Schulbeginn verputzt sein müssen). Wie werden wir die vorhandenen finanziellen Mittel optimal einsetzen (unser knappes Budget erlaubt keine Geldverschwendung)? Und wie werden wir dann den Schulbetrieb weiter aufrecht erhalten und optimieren? Fragen über Fragen – die man nur persönlich und vor Ort klären kann. Wir werden die richtigen Lösungen finden. Ich weiß aber auch, dass wir auf die Unterstützung von anderen Menschen angewiesen sein werden. Vor allem die weitere Finanzierung wird uns fordern. Hoffentlich können wir – auch mit diesem Blog – viele weitere Menschen von unserem Tun überzeugen.
Zum Feierabend – gegen 16:30 Uhr – sind wir nochmal zur Baustellen-Besichtigung gegangen. Es ist faszinierend zu sehen, was hier innerhalb von ein paar Stunden wächst. Die ersten Außenmauern im 1. Stock sind schon zur Hälfte gemauert. Die Handwerker lächeln uns an – sie wissen und spüren, was wir bereit sind für Ihre Kinder und die Region Dano zu tun. „Hello Mr. Matthias!“ höre ich immer wieder.
Wir haben uns von den Handwerkern verabschiedet und sind wieder zu unserem Familien-Domizil gelaufen. Immer an meiner Hand – der kleine Brunell. Er ist 7 Jahre alt – und hat beim Erdbeben vom 12.01.2010 seine Eltern verloren. Pater Dominique und seine Frau kümmern sich seither um ihn. Sie haben ihn in ihre Familie aufgenommen – wie ihr eigenes Kind. Wir haben Freundschaft geschlossen – ich spüre, es ist mehr.
Jameson, die Jungs von Pastor Dominique, Felix und ich sind dann wieder zum Bach gelaufen – ach, Brunell war an meiner Hand auch mit dabei – hier macht die Körperreinigung mehr Spaß als in dem Klo- und Duschhäuschen von Pater Dominique. Ist etwas gewöhnungsbedürftig – die Kakerlaken tragen auch nicht gerade zum Genießen bei.
Felix hat begonnen, einen Staudamm zu bauen. Alle haben mitgeholfen. Wir haben einen richtig kleinen Pool gebaut. Brunell ging jetzt das Wasser bis zum Kopf. Was hatten die Jungs – und wir – für eine Freude.
Ich hatte mit Jameson verabredet, dass wir nach unserer Rückkehr die T-Shirts verteilen möchten, die ich aus Deutschland mitgebracht habe (danke Fa. Strichpunkt und Karsten Raynoschek aus Ingersheim). Es war schon dunkel. Taschenlampen wurden angemacht. Die Kinder und Erwachsenen aus der nächsten Umgebung waren gekommen – irgendwie spricht sich das hier sehr schnell rum. Es war so wundervoll zu sehen und zu spüren, mit wieviel Dankbarkeit ein T-Shirt bedacht wird. Diese vielen strahlenden Gesichter werde ich so schnell nicht vergessen. Ein T-Shirt nach dem anderen wurde der Reihe nach übergeben. Angezogen. Gefreut. Foto gemacht. Strahlende Gesichter. Auch für die Erwachsenen hatte ich ein paar T-Shirts im Gepäck. Alle waren schnell weg – ich denke, diese T-Shirts werden hier ehrenvoll getragen. „Merci – Mr. Matthias!“ höre ich sie sagen.
Bevor wir zur Badestelle gegangen sind, habe ich Pater Dominique gefragt, ob wir eine kleine Abschluß-Party machen wollen. Nichts großes. Nur miteinander sprechen. Singen. Ein Bier trinken. Beieinander sein. Ich habe dafür eine Kiste Bier ausgegeben – 20 US-Dollar – für Haitianer fast schon unerschwinglich. Eigentlich hätte es eine kleine Feier werden sollen. Als wir vom Waschen zurück kamen war schon der Tisch gedeckt. Noch zugedeckt mit einer großen Tischdecke – ist übrigens bei jedem Essen so. Mindestens 10 Stühle standen um den Tisch. Ich war gespannt, was passieren wird. Ich kann vorwegschicken – es war unglaublich und sehr emotional.
Pastor Dominique hat das Tischgebet gesprochen – der Raum und die Stühle füllten sich schnell. Die ganze Familie, Freunde und Nachbarn waren gekommen. Viele Kinder in unseren bunten T-Shirts standen an der Türe und warteten erwartungsfroh. Essen war lecker. Die Stimmung war super. Mein Freund Monkey (so habe ich ihn getauft, weil er uns die frischen Kokosnüsse vom Baum geholt hat) hat den DJ gemacht. Die Stimmung stieg schon während des Essens. Als dann der erste Tänzer auf der Tanzfläche stand – brachen alle Dämme. Jeder durfte mal ran. Felix, Felix, Felix – haben alle laut gerufen. Felix hat eine beachtliche Tanzeinlage abgeliefert. Das Gejohle zum Liedende brachte zum Ausdruck, dass es gefallen hat. Schon bald tanzten alle um den Tisch – auch die Kinder waren mit dabei. Alle hatten großen Spaß.
Gegen Mitternacht hat Pastor Dominique dann den Abend mit einer wundervollen – und für mich sehr emotionalen – Ansprache beendet. Dank, Freundschaft, gemeinsam, helfen, miteinander, wertvoll, willkommen, offene Arme, Herz – waren Begriffe, die hierin häufiger vorkamen. Ich hatte Brunell auf dem Schoß sitzen – er hielt meine Hand. Ich war völlig gerührt und emotional getroffen. Mir liefen die Tränen – es hätte auch nicht geholfen, sie weg zu drücken. Dafür war es zu intensiv. Ich hätte auch gerne ein paar Worte gesprochen – in diesem Moment konnte ich es leider nicht. Meine Emotionen haben mich geleitet. Nicht schlimm – wie ich meine. Ich habe mich bei Pastor Dominique und seiner Frau mit einer herzlichen Umarmung bedankt. Ich glaube, sie haben gefühlt wie ich.
Dann bin ich zügig ins Bett. Felix wartet hier schlafend schon. Leider gefällt ihm in dieser Nacht meine Betthälfte besser, als seine. Es war eine heiße und unruhige Nacht. Irgendwann bin ich dann eingeschlafen. Und habe geträumt.